Eine Community - viele Kulturen!

Ein Interview mit Güner Sülün, Mashallah!, AIDS-Hilfe Essen und Jacek Marjański, baraka, RUBICON, Köln.

Warum ist die interkulturelle Arbeit von Herzenslust so wichtig?

Jacek Marjański: In Nordrhein-Westfalen liegt der Anteil der Menschen mit interkulturellem Hintergrund inder Bevölkerung bei 25 Prozent – in Köln liegt er sogar bei 33 Prozent. Daher können wir diese bei einer so wichtigen Arbeit wie der HIV- oder Gesund- heitsprävention nicht einfach außen vor lassen. Aus meiner Erfahrung heraus kommen Präventions- und Infomaterialien auf Deutsch gar nicht oder nur sehr wenig in dieser Zielgruppe an. Texte und Botschaften sind dabei oft zu spezifisch, oder es gibt zu explizite sexuelle Formulierungen, die aufgrund des kulturellen, religiösen oder sozialen Hintergrunds abgelehnt werden.

Welche Ansätze habt ihr gefunden, um eure Zielgruppe zu erreichen?

Jacek Marjański: Wir haben schnell festgestellt, dass wir die Menschen am besten erreichen, wenn sie selbst entscheiden können, welche Angebote baraka haben soll. So hat  sich  baraka von einem Präventionsangebot in einen offenen Treff für Lesben, Schwule, Transgender und deren Freunde und Familien- mitglieder  gewandelt.  Uns  ist  es  sehr  wichtig,  das Vertrauen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu gewinnen, denn erst in einer vertrauensvollen Atmosphäre lassen sich für die HIV- Prävention relevante Themen besprechen. Ob schwul, bisexuell, trans* oder Familienvater, der ab und an mal Sex mit Männern hat, alle, die zu uns kommen, sind recht unterschiedlich. Viele Gespräche über Sexualität und Prävention laufen zwischen- durch direkt zwischen den Gruppenmitgliedern ab. Zudem erfolgen Austausch und Information in kleinen moderierten Gruppen, aber auch in Einzelberatungen durch meine Kollegin oder mich selbst. Kondome, die wir für unsere Besucherinnen und Besucher bereitstellen, werden wahrgenommen und ein- gesteckt. Egal, ob für den Eigenbrauch oder für Freundinnen und Freunde. Prävention muss daher nicht immer thematisiert werden und funktioniert oft auch ohne Kommunikation.

Güner Sülün: Wir von Mashallah! in Essen haben einen Schwer- punkt auf Menschen aus islamischen Ländern gelegt; natürlich können auch alle anderen Migranten unsere Angebote  nutzen. Wir haben ein regelmäßig stattfindendes Beratungsangebot und bieten darüber hinaus – ähnlich wie baraka – Gruppentreffen an. Online sind wir auch unterwegs: bei Facebook und mit dem Health Support bei Gayromeo. Seitdem dort die Möglichkeit besteht, das Angebot in türkischer Sprache zu nutzen, erreichen uns deutlich mehr Anfragen von Türken.  Neben  Öffentlichkeitsarbeit,  nicht nur in der schwulen Szene, ist uns die Vernetzung mit Migranten- organisationen sehr wichtig. So sind wir bei Veranstaltungen wie beispielsweise der Interkulturellen Woche, die überwiegend von Migrantinnen und Migranten besucht werden, mit dabei.

Wo seht ihr Erfolge eurer Arbeit?

Güner Sülün: In der Vernetzung und Kooperation. Mein persönliches Highlight war eine Veranstaltung zum Thema Homo- sexualität, an der auch ein Imam, ein muslimischer Vorbeter, teilgenommen und sich den Fragen rund ums Thema gestellt hat. Oder der Deutsch-Türkische Gesundheitstag. Es ist schon toll und macht auch Spaß, wenn es uns gelingt, unsere Themen zur HIV- und STI-Prävention dort zu platzieren. Seit 2013 sind wir mit den Gruppen  aus  Düsseldorf,  Dortmund und Bochum vernetzt und haben seit 2014 mit You Are Welcome! eine landesweite Koordination für unsere Projekte und Gruppen einrichten können. Dies wäre ohne das große Engagement der Kollegen aus den Partnerstädten, die einen eigenen Migrationshintergrund mitbringen, nicht möglich gewesen.

Welche Anforderungen sollte Herzenslust erfüllen?

Jacek Marjański: Es ist sehr, sehr wichtig, dass die Präventions- arbeit für die Migrantinnen und Migranten auch von ihnen selbst umgesetzt wird. Sicherlich ist es mittlerweile schon so, dass ehren- und hauptamtliche Mitarbeiter der Herzenslust-Teams in einigen Städten in NRW einen interkulturellen Background haben. Ich wünsche mir einen Anteil von Präventions- mitarbeitern, die dem Anteil in der Bevölkerung entspricht – also 25 Prozent.  Es  wäre  wünschenswert,  wenn  dies  auch in den Aidshilfen der Fall wäre und im Vorstand des Landes- verbands mindestens eine Migrantin oder ein Migrant vertreten wäre. Eine landesweite Koordinationsstelle, angesiedelt bei der Aidshilfe NRW, das ist auch etwas, was ich mir wünsche.

Güner Sülün: Dem kann ich mich nur anschließen: Es ist wichtig,  in  den  Herzenslust-Teams  und  Aidshilfen  in  NRW für unsere Themen einen Ansprechpartner oder Mitarbeiter mit Migrationshintergrund zu  haben.  Es  kann  nicht  sein,  dass der Eindruck entsteht, für  die  interkulturelle  Arbeit  seien allein Mashallah! und baraka zuständig. Interkulturelle Themen und Aspekte müssen  ein  selbstverständlicher  Teil  der Herzenslust-Arbeit sein. Auch in den von Herzenslust angebotenen Trainings für Ehrenamtler und Hauptamtler muss Interkulturalität ein integraler Bestandteil sein.

Was kann getan werden, damit Präventionsmaterialien für Migrantinnen und Migranten ihre Adressaten erreichen?

Güner Sülün: Es ist wichtig, dass Menschen mit Migrations- hintergrund bei der Konzeption und Entwicklung von Prä- ventions- und Infomaterialien beteiligt werden, damit diese auch gut angenommen und genutzt werden. Hier zwei Beispiele, die deutlich machen, dass Verständnis und Know-how fehlen: Ein Plakat zum Thema Hepatitis, bei dem der Textteil mithilfe von Google Translate vom Deutschen ins Türkische übersetzt wurde, war völlig indiskutabel – das ist einfach nicht aus- reichend! Oder die leidige Diskussion um Gummibärchen als Give-aways: Hier muss es selbstverständlich sein, dass vegane Gummibärchen verwendet werden und nicht solche, die mit Gelatine aus Schweinen hergestellt wurden. Wir müssen uns immer wieder klarmachen, dass bei Menschen mit Migrations- hintergrund der Umgang mit Sexualität und insbesondere Homo- sexualität ein anderer ist – weniger offen und tabubehafteter.
 
Jacek Marjański: Wir bei baraka kommen aus über 70 unterschiedlichen Nationen. Ich denke mal, dass es möglich ist, Präventions- materialien zu überprüfen oder Texte zu hinterfragen, bevor sie produziert werden. Man muss daran denken und man muss es wollen.

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